Wie geht Mann-Sein? Das schauen Jungen sich von ihrem Vater ab. Der Vater ist als männliches Geschlechtsrollenvorbild die erste Wahl, positiv wie negativ. Und er fungiert als Gegengewicht zur häufiger anwesenden Mutter.
Kinder brauchen Väter! Die Zeit zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr gilt in der Psychoanalyse für besonders wichtig. Denn in dieser Phase löst sich das Kind aus der Symbiose mit der Mutter – ein angstbesetzter und schmerzhafter Prozess! Mutter und Kind brauchen dabei einen präsenten Vater: Er schützt das Kind vor schweren Verlassensängsten und hilft, die Symbiosewünsche mit der Mutter aufzugeben. So kann das Kind die Mutter realitätsgerechter wahrnehmen.
Dabei spielt die Beziehung zwischen den Eltern selbstverständlich auch eine wichtige Rolle. Die Mutter kann das Kind eher in seinen Autonomiewünschen unterstützen, wenn sie sich von ihrem Partner geliebt fühlt – dann muss sie nicht von sich aus das Kind festklammern. Und der Vater kann dem Kind besser Sicherheit geben, wenn er sich von seiner Partnerin in seinem Engagement akzeptiert und erwünscht fühlt.
Männliche Vorbilder verzweifelt gesucht
Jungen müssen sich, um eine positive Geschlechtsidentität zu entwickeln, mit ihrem Vater identifizieren. Von Frauen können Jungen vieles lernen, von der Säuglingspflege bis zur Autoreparatur. Frauen vermitteln ihnen dies jedoch immer als Angehörige des anderen Geschlechts. Sie zeigen, wie es ist, wenn eine Frau diese Dinge tut, wofür Frauen zuständig sind, wie wichtig das für Frauen ist. Sie können den Jungen nicht vermitteln, welchen Stellenwert das alles in der Welt der Männer hat. Das kann nur ein Mann.
Und das wird sehr früh sehr intuitiv verkörpert. Vom Vater schaut sich der Sohn ab, wie ein Mann geht oder steht. Ob er den Bauch einzieht und die Brust herausstreckt, ob er den Kopf und die Schultern hängen lässt, ob er sich drahtig oder elegant bewegt. So übernehmen Söhne grundsätzliche Haltungen und Lebenseinstellungen, selbstverständlich nicht 1:1 und in individueller Ausprägung. Später haben die Peer Group und das Umfeld, in dem er sich bewegt, ebenfalls starken Einfluss.
Die Übermacht der Weiblichkeit
Hier wird der Vorbildcharakter deutlich: Sieht der Junge, dass der Mann nicht nur abends müde von der Arbeit nach Hause kommt und dann das Spiel im Fernsehen schaut, sondern sich auch um den Haushalt kümmert, die Frau umarmt und mit seinen Kindern spricht, lernt er, dass das kein Weiberkram ist, sondern Männersache. Wenn die Mutter allerdings ständig hinter ihrem Sohn her putzt und ihm alles abnimmt, dann lernt er, dass Frauen für ihn den Dreck weg machen. Darüber sollten die Eltern miteinander sprechen!
Während ihrer gesamten Kindergarten- und Schulzeit sind Jungen hauptsächlich von Frauen umgeben: Erzieherinnen, Grundschullehrerin, Gymnasiallehrerin, Fachpädagogin, Kinderärztin… die eigene Mutter und die der Freunde und Klassenkameraden. Um ihre Geschlechtsidentität gegenüber dieser weiblichen Übermacht zu behaupten, müssen sie sich abgrenzen. Also andere Werte verinnerlichen, andere Vorlieben entwickeln, ein anderes Verhalten an den Tag legen. Wenn ihnen kein Mann hilft, sich mit dem eigenen Geschlecht zu identifizieren, bleiben sie in der Dauerabgrenzung vom Weiblichen und Kindlichen stecken. Auch das ist ein Grund für Frauenfeindlichkeit: Indem Männer nicht in den Erziehungsprozess eingebunden werden, sind die Jungen gezwungen, ständig Gegenpositionen einzunehmen, um ihre Identität zu finden und zu wahren.
Viel Vater, wenig Aggression
Können Väter als Modell für Erfolg, Ehrgeiz, soziale Anpassung und zwischenmenschliche Beziehungen dienen, zeigen Söhne hohe Werte bei der Messung von Verantwortungsgefühl und Erfolg, niedrige bei Aggression, wie Studien bereits in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts zeigten. Ist die Elternbeziehung schlecht, der Vater schwach, neurotisch oder an der Erziehung nicht beteiligt, tendieren Söhne zu Macho-Verhalten als Kompensation, gekennzeichnet durch Unterwürfigkeit, mangelndes Selbstwertgefühl und hohe Aggressionsbereitschaft.
Mit steigendem Alter wollen und sollen Söhne sich abnabeln und auf eigenen Füßen stehen. Die Gruppe der Gleichaltrigen wird immer wichtiger. Deren Werte können sich sehr von denen der Familie unterscheiden. Und ein Junge mag in einem Konflikt in der Familie hohe Sozialkompetenz beweisen, auf dem Schulhof dennoch zuschlagen, einfach, weil das den Regeln seiner Gruppe entspricht. Welches Verhalten er zukünftig wählt, hängt von seinen Werten, seiner Selbstsicherheit und dem Erfolg dieses Verhaltens in seiner Umgebung ab.